Nach dem Anfang - Kunst oder was?
- Ivory B. Blue

- 28. Aug. 2022
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Sept. 2022

Nach dem Anfang – Kunst oder was? Die Frage nach dem Anfang ist nichts anderes,
als die zeitlose Sehnsucht nach Erkenntnis über den Ursprung. Woher kommen wir? Wie hat alles begonnen? Das lässt sich aus der Religion, wie aus der Astronomie - auch im Blick gen Sternenhimmel liegt diese Frage inne, ableiten. Beide stellen den Versuch dar, sich das Ganze zu erklären. Einen schlüssigen Reim daraus zu machen. Das kommt daher, dass im Anfang fast alles liegt, was danach folgt. “Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen” - ist dafür das treffende Wort Aristoteles´. In der Antike lässt sich diese Spur weiter verfolgen: Das griechische Wort “Arch ” ē steht für Anfang, Prinzip, Ursprung und auch für Kommando – welches bekannterweise die Richtung, die Gestalt, das Ziel vorgibt. Das Kommando Apfelkern wird keinen Zitronenbaum hervorbringen, was auch immer man anstellt oder unerbittlich wünschen mag. Wer aber sieht dem Apfelkern, den ganzen Baum an, seine Äste, Blätter, dessen Frucht oder gar den duftenden Apfelkuchen? So bekommen Ereignisse, die nicht selten im Nachhinein als Anfang einer Sache identifiziert werden, eine Bedeutung, die ohne Kontext als Zufälligkeiten betrachtet werden müssten, von denen heute gewiss ist, ohne sie hätte der Lauf der Geschichte andere Wendungen oder wenigstens Umwege eingeschlagen. Eine Frau reicht einem Mann einen Apfel zur Speise und das gesamte Dasein verwandelt sich grundlegend. Ein Mann sitzt im Sommergarten und wird Zeuge, wie ein reifer Apfel vom Baum fällt und eine Erkenntnis setzt sich frei, ohne die wir heute wahrscheinlich wo ganz anders stünden. Vielleicht wären wir ohne diese Begebenheiten nicht mit der Aussage Ceci n´est pas une pomme konfrontiert worden? Was ist der Ursprung von Kunst? Was die allererste Kunst? Bilder von Höhlenmalerei erscheinen vor dem inneren Auge. Diese setzen ein essentielles Fundament des künstlerischen Schaffens voraus: Zeit. Die Zeit, Beobachtungen nachgehen zu können, die Zeit darin etwas Wertvolles zu erkennen, die Aneignung der Möglichkeit, sie zu verarbeiten und zuletzt Zeit für diesen Vorgang selbst. So ist der Ursprung von Kunst an ein komplexes Zusammenleben unserer Ahnen gekoppelt gewesen. Nicht weniger komplex ist das Miteinander im Hier und Jetzt. Betrachtet man das Aushandeln künstlerischen Schaffens heute, lässt sich das, heruntergebrochen auf Menschen, die in Höhlen hausten und über ein überschaubares Repertoir an Kommunikationsinstrumenten verfügten, recht amüsant vorstellen. Aber vielleicht war eine andere Kunstform viel älter? Eine, die nicht sichtbar überliefert ist? Am Anfang war das Wort – legt die Bibel los – war also das Geschichtenerzählen der Ursprung von Kunst? Auch hier liegt ein soziales Gefüge zugrunde und hängt mit der Verfügung über das Feuer zusammen: Wie der Jäger beim Garen des erlegten Tieres über dem Feuer mit den anderen seiner Sippe hungrig auf das Essen wartet, vergeht die Zeit sehr langsam. So wird er nach dem Verlauf der Jagd befragt. Der Jäger berichtet. Und schon kommt etwas Schwung in die Runde. Fortan wird er nach der Jagd gefragt. Er antwortet von Mal zu Mal ausführlicher. Das nennen wir Konversation und ist noch nicht die Kunst des Geschichtenerzählens. Bald aber genügen sich die Zuhörer nicht mehr mit den Ausführungen des Jägers und bohren weiter. So lange, bis ihm der Kragen platzt und eine action story vom Löwen, der vom Baum, auf ein Mammut gefallen ist, das vor Schreck in einer Grube einen Purzelbaum geschlagen und dabei die Gazelle aufgespießt, abgeworfen und vor dem Löwen reißaus geholt hat, erdichtet. Frenetischer Beifall. Die Geburtsstunde der Kunst? Diese Frage bleibt offen. Als plausibler Gedanke kann das so stehen gelassen werden. Das älteste in Deutschland entdeckte Kunstwerk ist ein Schnitzerei. Genauer gesagt: Präzise Kerben im Knochen eines Riesenhirschs. 2020 in der Einhornhöhle im Harz gefunden. Vor etwa 51.000 Jahren wurde es in der Epoche des Moustérien gefertigt. Es evoziert die Frage nach dem letzten Kunstwerk, welches aus Menschenhand geschaffen wird. Eine wenig erbauliche Frage, die dem Gefühl vom Zauber des Anfangs diametral entgegensteht. Mit etwas kühlerem Kopf lässt sie die Phantasie spielen und führt zu amüsanten Science Fiction Ideen. Irgendwo dazwischen liegt die Überlegung, weshalb Menschen Kunst herstellen. Hier gibt es Antworten, die gewürdigt werden wollen. Zum Beispiel die, dass es zum Menschsein gehört, mit einem Seelenleben geboren worden zu sein, welches Bedürfnisse hat, die wie der Durst oder der Hunger gestillt werden müssen. Es scheint rätselhaft und unerklärlich zu sein. Das Unbewusste, auf welches wir keinen direkten Zugriff haben, kann uns Material zu Deutungen bieten. Erklären wird es nichts. Das macht es für Kunst in einer nach Nutzen determinierten Welt immer wieder schwierig, akzeptiert und geachtet werden zu können. Diese Schwierigkeit steht gleichzeitig für den Wert, der ihr innewohnt. So verdient jedes Kunstwerk, ob es gefällt oder nicht, eine Anerkennung dieser art der Leistung. Kunst ist nicht, was allen gefällt. Kunst ist nicht das, was den meisten gefällt. Kunst kann sein, was einem nur gefällt. Was also ist Kunst?
Ivory B. Blue Berlin, 31. August 2022





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